Um Trost war mir sehr bange

Zuviel an Grausamkeiten – zu viel, als dass meine Seele das verkraften könnte!
Ungebremst erreichen uns Unmenschlichkeit und Gewalt in einer Welt, in der wir so nahe zusammen gerückt sind. Schmerz und Leid schier unerträglich.

Zu groß scheint der Schmerz – zu groß das Leid,

als dass irgendetwas oder irgendeine(r) trösten könnte!








Der Seele 
schützend einen 
Mantel 
umlegen

Drei Frauen – unterwegs – ins Nichts.
Verwitwet und damit in ihrer Zeit ohne rechtliche und wirtschaftliche Absicherung.
Sie haben nur sich – mehr nicht.

Hier beginnt Marc Chagall zu malen, wo die Worte fehlen:
Sie stehen beieinander, die drei Frauen.
Ihre Gesichter spiegeln wider, welchen Schmerz sie erfahren haben.
Sie halten einander, sie stützen einander. Jede die andere.
Beieinander. Nicht allein.

Es ist tröstlich – dieses Bild.
Wie der Mantel, der sich um die verletzten Seelen der drei Frauen legt.

Adon Olam

Existenzängste, Gewalterfahrungen, Verzweiflung, Tod …
die alte biblische Geschichte von Naomi ist wie ein Spiegel für die Erfahrungen unserer Tage – in der Ukraine, im Nahen Osten – vielleicht vermag uns dieser Spiegel zu sehen helfen, wie wir aus der Schockstarre herauskommen, wie wir weitergehen, wie wir einander trösten können.

Gemeinsam auf jeden Fall, gemeinsam weitergehen. Immer wieder der Angst etwas entgegensetzen können: Sich immer wieder vergewissern: Ich bin nicht allein. Immer wieder neu den Mantel um die geschundene Seele legen.


Doch woher kommt die Kraft dazu?


Ich höre eine Freundin erzählen, wie sie Kraft schöpft, wenn sie am Wasser entlang läuft – den Blick in die Weite des Meeres und des Himmels gerichtet –
ein anderer spricht davon, wie er sich auspowert – bis an die Grenzen des Belastbaren – und ein wenig Ruhe findet.

Die Natur als etwas, was umfassender, größer als wir selbst ist, kann trösten:
Es ist, als dehne sich mit unserem Körper auch unsere Seele, die soeben noch in der Enge ihrer Fixierung auf das eigene Leiden gefangen war, in die Rhythmen des Meeres hinein, in die Bewegung unserer Schritte, in die duftende Atmosphäre des Waldes, in die Weite einer freundlichen Gebirgslandschaft. Für eine Weile fühlen wir uns aufgehoben.

Für mich selbst ist auch die Musik eine Quelle des Trostes: Von den Klängen sich getragen zu wissen, erlaubt meiner Seele ein Aufatmen. Auch hier öffnet sich meine Seele. Erst vor wenigen Tagen durfte ich das wieder erleben: Im kleinen Kreis unserer ‚Musiker-Freundinnen und Freunde‘ haben wir einander Töne/Lieder geschenkt. Und wo Worte fehlen, da fangen Töne mich auf.

So tritt zu den Tönen die Nähe freundlich zugewandter Menschen, die zu trösten vermag.

Trost – das ist wie der Mantel, der sich schützend um meine Seele legt.
Die Natur, die Musik, die zugewandten Menschen – diese alle und wohl für jede und jeden selbst vielleicht noch anderes – diese alle eignen sich zu der Ummantelung der Schmerzen.

Tristan und Isolde

Naomi, Ruth, Boas und der ihnen geborene kleine Obed leben das, was ich mir zum Trost wünsche:
Menschen an meiner Seite, die den Schmerz mit mir aushalten. Die mich nicht mit billigen Worten vertrösten. Die nach Lösungen aus schwierigen Lebenssituationen suchen. Die mit mir weinen. Und die mich erfahren lassen, dass inmitten allen Leids ein Gott da ist, der mich nicht loslässt.


Ja – nach Trost ist mir immer noch bange.
Aber ich will darauf vertrauen, dass es eine Zukunft gibt –
für mich und für meine Lieben und für die an Leib und Seele Verletzten, ob in der Ukraine oder im Nahen Osten oder sonst wo auf dieser unserer Welt.

Wie lange noch?

„Jetzt ist die Zeit
Das Thema des diesjährigen Kirchentages in Nürnberg war Zeitansage. Es ist Zeit. Zeit aufzuwachen – Zeit, dem stetig fortschreitenden Klimawandel entgegenzutreten – Zeit, Unrecht beim Namen zu nennen und nicht wegzuschauen, wo Menschen mit Füssen getreten werden und Gewalt Leben unwiederbringlich auslöscht.

Jetzt ist die Zeit.
Etwas zu tun und nicht zu verzweifeln angesichts der riesigen Aufgabe, die vor uns liegt.

So ähnlich müssen es damals die Wüstenwanderer an der Schwelle zum versprochenen Land auch gefühlt haben.

Aber lasst mich die alte Geschichte von Anfang an erzählen:

Lange hatten sie in Ägypten gelebt – als Sklaven des Pharao hatten sie jegliches Recht auf Selbstbestimmmung verloren. Zu lachen hatten sie schon lange nicht mehr. Dann kommt der Abend, der alles verändern sollte: Der Aufbruch in eine ungewisse Zukunft. Über diese Zukunft hatte Mose ihnen gesagt, Gott selber sei mit ihnen und führe sie in ein Land, in dem Milch und Honig fließen.

„Wohin will er uns bringen?“
„Kann ich diesem Mann vertrauen?“
„Was passiert hier zuhause?“
„Ich habe Angst!“
„Ich möchte hierbleiben!“

Unterwegs passiert viel – immer wieder Verzweiflung. Der Blick nach vorne ist verschwommen. Durst und Hunger quälen. Dazu die Angst, vielleicht dem Falschen vertraut zu haben. 40 Jahre lang – mitten durch die Wüste.

„Ich kann nicht mehr weiter!“
„Ich möchte zurück nach Ägypten!“
„Ich bin’s Leid!“
„Was mutet der uns eigentlich zu?“
„Und wenn es den Gott, von dem Mose spricht, gar nicht gibt?“

Die Alten im Volk, die Ägypten noch in Erinnerung haben, werden immer weniger. Zwei Generationen sind inzwischen nachgewachsen. Da scheinen die Wüstenwanderer am Ziel. Der Blick öffnet sich in die Weite. Nie schien die erhoffte Zukunft näher.

Wohin geht Ihr / Euer Blick?
Meine Gedanken wandern zurück – an der einen und anderen Stelle verweilen sie. Meine erwachsenen Kinder kommen in den Blick. Werden sie und ihre Kinder ihr Leben so leben können, wie ich es konnte, wie ich es kann?
Wie wird sich die Welt verändern durch die schon jetzt mehr und mehr spürbaren Unwetter und Katastrophen?
Wird das Zusammenleben der Völker noch eine gute Chance haben angesichts von Kriegen und Machtbesessenheit?

Damals: Mose schickt Kundschafter aus. Die berichten bei ihrer Rückkehr von einem wunderschönen Land – es ist jedoch bewohnt.
Dann die Ernüchterung: Keiner von den Alten wird in das Land einziehen – auch Mose nicht. Gott bestimmt das so. Und jetzt?

„Das glaub ich nicht!“
„Warum?“
„Wofür diese ganze Strapaze?“
„Wir haben doch dem Falschen vertraut!“
„Und das soll nun mein Leben gewesen sein?!“

An der Schwelle zum versprochenen Land scheinen 40 Jahre
Wüstenwanderung vergeblich – purer Unsinn – sinnlos.

Und plötzlich wird die alte biblische Geschichte top-aktuell:
Wie wird sich die Welt verändern durch die schon jetzt mehr und mehr spürbaren Unwetter und Katastrophen?
Wird das Zusammenleben der Völker noch eine gute Chance haben angesichts von Kriegen und Machtbesessenheit?  So habe ich eben gefragt.

Und ich verstehe – vor dem Hintergrund dieser alten Geschichte: Jetzt ist Zeit. Es ist höchste Zeit. Wie die Israeliten an der Schwelle zum versprochenen Land, stehen wir an der Schwelle in unsere Zukunft, nein, wohl eher an der Schwelle der Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder. Jetzt ist die Zeit, die Zeit zu überlegen, was ich mit meinen kleinen Kräften tun kann, damit es ein Hineingehen in die Zukunft überhaupt geben kann.

Und noch einmal vergeht eine lange Zeit – damals. Die alten Geschichten der Wüste, Geschichten der Verzweiflung und des Haderns mit einem Gott,
Geschichten des Staunens, wie dieser Gott mit Manna und Wasser versorgt, Geschichten vom Verlassen-Sein und von fröhlicher Begleitung, all diese Geschichten laufen wie ein Zeitraffer immer wieder ab.

Dann endlich
hört die Stimmen an der Schwelle zum versprochenen Land:

„Es ist Zeit, dass wir unser Leben in die Hand nehmen!“
„Hat lang genug gedauert!“

„Vergesst nicht den Erfahrungsschatz unserer Alten!“
„Wir werden schon Platz finden – das Land ist groß!“
„Worauf warten wir – lasst uns losgehen!“

Und unter der Führung von Josua, des Nachfolgers von Mose, beginnt der Einzug ins versprochene Land mit der Zusage Gottes:

„Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der Herr, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst!“

Biblische Geschichte – bearbeitet im Format eines Bibliologs:
Wir werden Teil der alten Geschichte und führen diese alte Geschichte weiter – in unsere Zeit.

Jetzt ist die Zeit. Lasst uns losgehen. An der Schwelle zur Zukunft öffnet sich der Blick – kommen die Ideen – damit auch unsere Kinder und Kindeskinder Zeit und Raum zum Leben haben.

Lass leuchten dein Angesicht

Ich kann die Fernseh-Bilder der verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien kaum ertragen – unvorstellbar, welches Leid und welche Schmerzen Menschen dort erleiden …

„Ich habe das Elend meines Volkes gesehen und ihr Geschrei gehört!“
Gott sagt das, als seine Menschenkinder unter der Gewaltherrschaft des Pharaos kaputtzugehen drohen. Gott hat gesehen und – so erzählt die Bibel – beauftragt Mose, diesem Elend ein Ende zu setzen.

Das ist lange her, sagt Ihr vielleicht. Alte Geschichten,
Erzählungen, die mit uns heute doch nichts zu tun haben.

Ja – alt sind die Geschichten schon – aber was sie über Gott sagen, das hat an Deutlichkeit und Aktualität nicht verloren:
Gott sieht – und es lässt ihn offensichtlich nicht gleichgültig, was er sieht.
Es ist ihm nicht egal, wie es seinen Menschenkindern geht.


Damals bekommt Gottes Sehen und Mitleiden ein menschliches Antlitz mit Mose.
Er führt sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten.

Und heute?
Jeder Gottesdienst endet mit der Bitte an Gott, er möge uns sein Angesicht zuwenden – und ich möchte schreien und rufen: Ja, Gott! Wende dein Angesicht nicht ab, lass es über uns leuchten, lass von diesem Schein ein wenig auf unsere Gesichter fallen, damit wir einander sehen. Damit wir einander wahrnehmen, damit wir uns anrühren lassen von dem, was andere Menschenkinder erleben und ertragen.

Ob unsere Gesichter dazu bereit sind?
Ob sie bereit sind, vom Leuchten des Angesichtes Gottes etwas aufzunehmen?

Lass leuchten dein Angesicht über uns, Gott!

Leha Dodi

Ob unsere Gesichter dazu bereit sind?
Ob sie bereit sind, vom Leuchten des Angesichtes Gottes etwas aufzunehmen?

Oder wird es uns wie jenem Mann in dieser kleinen Geschichte ergehen:

Verstört stand er im Badezimmer vor seinem Spiegel – er sah – nichts. Was für ein Tag war heute? Hatte er etwas Entscheidendes vergessen? War gestern etwas passiert?

Nichts Besonderes fiel ihm ein – aber es blieb dabei: Sein Gesicht war weg. Er schaute in den Badezimmerschrank, er suchte unter dem Bett – vergeblich – sein Gesicht blieb verloren. Freunde hörten davon. Auch sie begannen zu suchen. Sie fragten ihn – er antwortete – immer wieder. Doch das Gesicht blieb verloren. Drei Tage später – sein Enkelkind besuchte ihn. Grade erzählte es davon, wie es draußen Streit gab mit den Spielkameraden und davon, wie sein Freund ihn verteidigt hatte – da war es wieder da, sein Gesicht. Der Mann staunte –

Woran erinnert Sie diese kleine Geschichte?

Meine ersten Gedanken gehen in den politischen Raum:
Ich denke an einen Herrscher Putin, der den Krieg immer weiter führt, um – ja, warum? Ja – vielleicht auch darum, um sein Gesicht zu wahren – und wenn es auch nur noch ein sehr entstelltes menschliches Antlitz ist.
Oder –
Ich denke an die Verteidigungsministerin, die ihrem Amt nicht gewachsen ist, und der nur der Rücktritt vom Amt bleibt, um nicht ihr Gesicht zu verlieren.

Vielleicht sind da auch Gedanken an den letzten Streit mit dem Partner, an Auseinandersetzungen in der Schule oder an noch anderes – Persönliches – von dem wir nur selbst wissen.

Wer sein Gesicht verliert, der verliert ein Stück weit sich selbst. Mit Gesichtsverlust droht der Verlust dessen, was uns ausmacht. Unser Gesicht kommuniziert dem anderen, wer wir sind und wie es uns geht. Unser Gesicht spricht auch ohne Worte. Wer sein Gesicht verliert, der ist für sein Gegenüber nicht mehr erkennbar.

Und wenn es dann doch passiert, dass wir unser Gesicht nicht wahren können?

So, wie es damals einem Petrus ergangen war – die Bibel erzählt davon: „Ich bin dein Freund“, sagt er zu Jesus, „ ich stehe zu dir, was auch immer kommt.“ Aber dann – wie jämmerlich: Als es hart auf hart kommt und es droht, dass er selbst verhaftet wird, da kneift Petrus: „Den da, der im Gerichtssaal steht, den kenne ich nicht.“ Dreimal passiert das – und es bleibt diesem Petrus nichts mehr als bitter zu weinen.

Das Gesicht verloren – aber Freunde gehabt, die ihn nicht fallen gelassen haben. Und dem begegnet, den er im Stich gelassen hatte, von Angesicht zu Angesicht: „Ich gebe dir dein Gesicht wieder“ sagt Jesus zu ihm. „Du bleibst mein Freund. Du wirst in Zukunft Menschen davon erzählen, wie es dir mit mir ergangen ist. Und du wirst anderen zur Seite stehen – wirst anderen suchen helfen bei ihrer Suche nach ihrem Gesicht, nach ihrem Selbst.“

Über diesen Jesus sagt die Bibel, es sei Gott selber, der dem Menschen Vis-a-vis – von Angesicht zu Angesicht – Frieden zusagt, auch Frieden mit sich selbst, Frieden mit dem, wer ich bin, mit Macken und Fehlern.

„Die Niedrigkeit seiner Magd hat er angesehen!“, jubelt eine Maria, als sie erfährt, dass sie Jesus zur Welt bringen soll.

Von Gott angesehen – wertgeschätzt und das verloren gegangene Gesicht wiedergefunden.

Wie das gehen soll?

Im menschlichen Antlitz des Freundes neben mir blickt mich Gott selber freundlich an, gibt mir mein verlorenes Zutrauen, mein Gesicht wieder.

Gottes Angesicht – es spiegelt sich wider im Gesicht des Freundes, des anderen Menschen mir gegenüber.

Wenn es dann doch geschehen ist, dass wir unser Gesicht verloren haben?

Dann ist es gut, dass jemand da ist, der uns dennoch in die Augen schaut, der seinen Blick nicht abwendet und uns alleine im Regen stehen lässt.
Dann ist es gut, Menschen zur Seite zu haben, die uns zuhören und die uns suchen helfen.

Ein Gott, der sieht, der wendet sein Angesicht nicht ab von seinen Menschenkindern.

Genau darum bitten wir ja am Ende eines Gottesdienstes:
„Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über uns und sei uns gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf uns und schenke uns Frieden!“

Gott ist für uns da, er umarmt das Schöne und das Hässliche,
das Liebenswerte und das Traurige.
Wo wir ihn in unsere Nähe kommen lassen, da geschieht Heil.

Gott, der sein Angesicht zuwendet, würdigt mich seines Blickes.
Und er beschenkt mich mit einem Mit-Menschen, den er mir an die Seite stellt.

Damit ich mein Gesicht wahren kann. Damit ich bereit bin für das leuchtende Angesicht Gottes über mir. So möge es sein! Amen!

WINTERBLUMEN

Vom Aufatmen in dunkler Zeit

Mit diesem Versprechen nahmen Dorothea Brand und Wolfgang Kummerfeldt zahlreiche Zuhörer, die sich am Samstagabend in der Kirche zu Bega eingefunden hatten, mit auf eine musikalische Reise durch verschiedene Länder. Harfe, Gitalele und Gitarre klangen wunderbar zusammen und waren eine stimmungsvolle Begleitung zu unterschiedlichsten Liedern.

Nachdenkliche und poetische Liedertexte, lyrische, aber auch durchaus fetzige Melodien verzauberten und schufen eine lichtvolle Atmosphäre jenseits des Alltags.

Das Begrüßungslied des letzten Weltgebetstags „Seid willkommen“ aus dem Inselstaat Vanuatu stand am Anfang des Konzertes. Dorothea Brand spielt eine keltische Hakenharfe, die durch Umstellen der Haken das Spiel in unterschiedlichen Tonarten ermöglicht. Die keltische Harfe ist das Nationalinstrument von Schotten und Iren und so trug das Duo entsprechend irische und keltische Songs vor, vielen bereits bekannt durch die Gruppen Sallys Garden oder die Dubliners.

„Herr Winter kommt vom Kaukasus“ ist ein Protestlied der deutschen Band „In Extremo“ gegen die Diktatur und damit durchaus aktuell, mit „Wer kann segeln“ gab es einen Abstecher nach Schweden und ein besonderes Lied war „Dat Kelbl“, in jiddischer Sprache. Das „Halleluja“ von Leonard Cohen, einem kanadischen Dichter und Songwriter bildete den eindrucksvollen Schluss des Liedervortrags. Instrumentalstücke schufen Nähe zur Natur und zu den Jahreszeiten – beispielsweise „Fluss und Meer“ oder „ First Snow“. Harmonisch fügten sich zwei von Dorothea Brand vorgetragene tiefsinnige Erzählungen in die Musik ein.

Der Beifall des Publikums war herzlich und einige Zuhörer nutzten die Gelegenheit, während der Pause und nach dem Konzert mit Dorothea Brand als der langjährigen und noch vertrauten Pfarrerin der Kirchengemeinde Bega ins Gespräch zu kommen.

Wer Samstag keine Zeit hatte, das Konzert zu besuchen, hatte am Sonntag Gelegenheit, einen musikalischen Gottesdienst zu erleben. Auch hier präsentierten Dorothea Brand und Wolfgang Kummerfeld sowohl Instrumentalstücke als auch zum Thema des Gottesdienstes passende Lieder – besonders schön: ein gesungenes Glaubensbekenntnis aus Irland.

Inhalt der Predigt war – mit Bezug auf den Text des kommenden Weltgebetstages – die Stelle aus dem Buch des Propheten Jeremia, in der er die Exilsituation des Volkes Israel beschreibt und tröstliche Worte für dessen Zukunft findet. Zusage und Trost, das sind Dinge, die jeder von uns in unterschiedlichen Lebenssituationen gebrauchen kann und die, so Frau Brand, gerade in der vor uns liegenden Passions- und Osterzeit wirksam werden sollen. Annelie Brandt von Lindau


HOFFNUNGSSCHIMMER

FLUSS UND MEER

PREDIGT zu Jeremia 29

Zusammenfassung unseres 2-jährigen Enkels:
„Alles dunkel – Geisterlicht kommt!“ Genial!!

Friede sei mit Euch!

Liebe Frauen und Männer, liebe Schwestern und Brüder,

 „Kaffee?“, frage ich den Soldaten, der bei mir im Türrahmen steht. „Gern“,  schallt es zurück. „Milch, Zucker?“ – „Schwarz bitte. Wie meine Seele.“

Die Begegnung liegt viele Jahre zurück und doch hat sie sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt. Manchmal sind es die kleinen alltäglichen Dinge, die einem den Blick öffnen.

„Kaffee?“, frage ich den Soldaten, der bei mir im Türrahmen steht. „Gern“,  schallt es zurück. „Milch, Zucker?“ – „Schwarz bitte. Wie meine Seele.“

Wie oft habe ich das schon gehört. Und eigentlich habe ich mir dazu noch nie richtig Gedanken gemacht.

Warum sollte die Seele schwarz sein?

Karfreitag fällt mir ein. Menschen, wie sie mit schweren Schritten Richtung Golgatha gehen  – dem Hügel der Kreuzigung Jesu. Tränen in den Augen. Hoffnungslos. Denn der, dem sie gefolgt waren, war tot. Auf den sie ihre ganze Hoffnung gesetzt hatten, lebte nicht mehr.

Bilder aus dem ersten Lockdown sind mir vor Augen – in Italien werden Leichen auf Lastwagen abtransportiert und Bestatter kommen mit dem Beerdigen nicht nach.

In Altenheimen und Krankenhäusern sterben Menschen alleine.

Familien in kleinen Wohnungen stehen vor dem Kollaps.

Vieles ließe sich hier weiterführen …
Schwarz – aussichtslos – vorbei! Wenn ich schwarz sehe, dann – sehe ich nichts mehr. Eine Wand – undurchlässig – ohne den Blick auf das, was danach kommt.

Ich sehe schwarz. Warum auch immer.

„Kaffee?“, frage ich den Soldaten, der bei mir im Rahmen steht. „Gern“,  schallt es zurück. „Milch, Zucker?“ – „Schwarz bitte. Wie meine Seele.“

Und ich höre mich antworten:
Oh – schade: Dann haben Sie wohl noch nie von Ostern gehört?

Fragezeichen im Gesicht meines Gegenübers:
Kaffee – schwarz – Seele – Ostern

Fragezeichen.

Ich komme mit den gefüllten Tassen zurück:
„Warum meinen Sie“, beginne ich das Gespräch, „warum meinen Sie, dass Ihre Seele schwarz ist?“ und er antwortet mit einer Gegenfrage: Was das denn mit Ostern zu tun habe.

Und ich erzähle von dem Gottesdienst in der Osternacht. Wie die entzündete Osterkerze in die dunkle Kirche getragen wird. Wie das kleine Licht den dunklen Raum erstrahlen lässt, wie die vielen kleinen Osterkerzen an dem einen Licht entzündet werden, bis die Kirche hell ist.

Ich erzähle von der Symbolik, dass Jesus von den Toten auferweckt wurde.

Ich erzähle davon, wie die Begegnung mit dem auferstandenen Jesus Menschen ergreift, wie sie aus ihrer Karfreitagsdepression herausgerissen werden und wie die schwarze Wand vor ihnen einen Spalt bekommt, wie Licht auf sie fällt.

Und mein Soldat?
„Ich bin nicht sehr religiös“, sagt er.

„Aber das mit dem Dunkel und der Wand, das kenne ich. Perspektivlos, verzweifelt, wie ich  – so müssen sich die Freunde um diesen Jesus gefühlt haben an jenem schwarzen Freitag.“

Und dann erzählt er von einer verfahrenen Ehesituation. Davon, wie er sich betrogen fühlt von der Ehefrau, während er im Einsatz war. Von Schuldvorwürfen, von Schuldgefühlen und davon, dass er sich am liebsten aus diesem Leben verabschieden wolle. „Die Wand – schwarz – ohne Hoffnung. Schwarz, kein Weiß. Eben wie meine Seele. Sie ist ein Spiegel  meiner Situation.“

„Ja“, sage ich. „Das ist erdrückend. Schwarzer Tag. Undurchdringlich.
So müssen sich Jesu Freunde auch gefühlt haben. Am Ende angekommen.

Und dann?
Ostermorgen für die um Jesus herum.  Frauen sind das zuerst – sie wollen dem toten Jesus die letzte Ehre erweisen – wollen ihn salben mit kostbarem Öl:

Da ist eine Maria, die nichts sieht. Das Schwarz ist so undurchdringlich, verschließt  Augen und Herz. Sie hält den auferstandenen Jesus für den Friedhofsgärtner, fragt ihn nach dem Leichnam Jesu.

Und dann hört sie was – nur ein Wort: Maria.

Sie hört ihren Namen. Sie ist gemeint. Licht fällt durch einen kleinen Spalt im Dunkel. Strahlt sie an, stellt sie auf den Weg jenseits von ihrem Dunkel.
Eine Perspektive tut sich auf – ein Weg – Zukunft.

Ostern meint: Auf meine so schwarze Seele fällt Licht – einen Spalt breit – ausreichend, um das undurchdringliche Schwarz der Wand zu durchbrechen. Licht genug, um das Kreisen im Dunkel der Schuldgefühle und Vorwürfe zu unterbrechen.

Irgendetwas muss dran sein, an diesen Erfahrungen.

Das war nicht nur damals so – bei dem ersten Ostern.
Irgendetwas muss dran sein.

Irgendetwas muss dran sein.
Darum rede ich schon heute – weit vor dem Osterfest, das wir in diesem Jahr erst Mitte April feiern, von dem, der dunkle Zeiten heller machen kann. Von dem, der uns Aufatmen lässt in schweren Zeiten.


Aufatmen – wie das gehen soll?
Vielleicht so, wie es der Prophet Jeremia seinen in die Verbannung geschickten Landsleuten schreibt. Mitten hinein in die tiefe Depression des Verlustes von Heimat, vom Tempel und – von Gott? – fordert Jeremia zum Durchhalten auf:

1. Akzeptiert die Krise – arangiert euch mit der so schlimmen Situation.
Das ist schwer. Wir wissen das wohl aus den eigenen Erfahrungen der letzten zwei Jahre.

Findet euch ab mit der Krise und dann
2. Krempelt die Ärmel hoch: „Baut Häuser und wohnt darin! Pflanzt Gärten und erntet. Zeugt Kinder und verheiratet eure Kinder!“ Denn die Krise wird lange dauern – ein oder zwei Generationen lang. Darum „sucht der Stadt, in der ihr jetzt lebt, sucht der Stadt Bestes. Engagiert euch in und für die Stadt. Betet für sie. Denn das ist jetzt eure Heimat! Geht es der Stadt gut, dann geht es auch euch gut.

Das ist eine klare Ansage – auch für uns!
Denn – nochmal Jeremia: Gott weiß wohl, was für Gedanken ER über euch hat: Gedanken des Friedens und nicht des Leids, dass Er euch Zukunft und Hoffnung gebe.

Vom Aufatmen in dunkler Zeit – irgendetwas muss dran sein, an allen diesen Erfahrungen.

Ich kehre noch einmal zu meinem Soldaten zurück.
Diesem einen Gespräch folgten zwei weitere mit meinem Soldaten.

Immer war der Kaffee schwarz – die Seele aber hatte einen Lichtschimmer abbekommen. Gespräche mit der Frau, Unterstützung von Freunden, ein Weg jenseits der schwarzen Wand.

Mehr Ostern geht kaum noch – auch wenn es erst Februar ist. Amen.

Und der Friede Gottes, der größer ist als unser Verstand es begreift, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

ROTENBURG

Zum Erntedankfest 2021

Liebe Frauen und Männer,
liebe Schwestern und Brüder,

mal wieder – ein Stein …
ich mag Steine – und ich habe auch in diesem Jahr wieder am Strand gesammelt …

Mit Steinen kann man viel machen:

  • einen Schutzwall bauen
  • oder einen kleinen Garten gestalten,
  • sie vom Acker sammeln,
  • man kann sie leider auch gegeneinander erheben,
  • man kann Türme damit bauen,
  • oder sie als einen kleinen Weg durch einen Bach legen, um trockenen Fußes hindurchzukommen,
  • und vieles andere …

Von einem besonderen Stein will ich erzählen:

Jakob wählt ihn aus.
Auf der Flucht vor der Rache seines Bruders Esau legt sich Jakob schlafen. Stunden ist er gelaufen – immer unter der sengenden Hitze der Sonne –  und mit der Angst im Nacken.
Was ich getan habe, war falsch, er wusste das.
Den Bruder hatte er um sein Erbe – den Segen seines Vaters – gebracht,
und den alten Vater hatte er böse betrogen.

Dass er weg musste von zu Hause, es war ihm klar – aber es tat so weh.

Unter freiem Himmel legt er sich hin – einen Stein hinter seinem Kopf als kleinen Schutz – und er schläft.

In jener Nacht träumt er:
Der Himmel über ihm ist offen.
Eine Leiter verbindet den Himmel mit dem Fleckchen Erde,
wo er liegt. In ständigem Auf und Ab bewegen sich Gestalten von oben nach unten und wieder hinauf.

Und er hört eine Stimme:
Jakob, du sollst gesegnet sein. Viele Nachkommen sollst du haben und das Land, auf dem du liegst, soll dir gehören.
Und siehe, ich bin mit dir und ich will dich behüten, wo du hinziehst.

Jakobsleiter in der Kirche zu Alta/Norwegen

Jakob erwacht.

Staunen ist ihm ins Gesicht geschrieben:
Ihm, dem Betrüger, schickt Gott solch einen Traum?

Und was bedeutet er?
Was ist das für ein Gott, der sich ihm zuwendet, als er im wahrsten Sinne des Wortes am Boden liegt?

Staunend nimmt Jakob den Stein, der ihm als Schutz gedient hat.

Er richtet ihn auf, träufelt ein wenig des kostbaren Öls, das er bei sich trägt, auf diesen Stein und beginnt zu verstehen:

Hier an diesem Ort haben sich Himmel und Erde berührt.
Gott selbst wohnt hier an diesem Ort,

an dem ich mich mutterseelenallein gefühlt habe.
Gottes Haus ist hier. Gott nimmt hier Wohnung.
Den Himmel, den ich verschlossen glaubte, sah ich offen.

Gott macht sichtbar, was er verspricht:
Lichtgestalten zwischen Himmel und Erde –
was bedeutet: Ich bin bei dir … gehe mit dir – rauf und runter, durch dick und dünn, durch die Tiefe und in die Höhe …
Dem Betrüger wendet sich Gott erneut zu:
Mit Worten und mit den Bildern des Traums:
Ich bin bei dir und will dich behüten, wohin du auch ziehst!

So also ist Gott.
Staunend steht Jakob vor seinem Stein.

Sein Stein – Zeichen der Erinnerung für später –

Zeichen des Dankes

  •  für erfahrene Bewahrung
  •  für wiederholtes Versprechen
  •  für nicht verdiente Zuwendung (im bibl. nennt man das Gnade!)

    Sein Stein – er wird zur Brücke zwischen Gestern und Morgen.

Manchmal brauchen wir Menschen solche Steine.
Sie helfen uns erinnern.
Sie helfen uns ‚Danke’ zu sagen.

Die alten Väter der Bibel haben ihren Dank sichtbar gemacht:
Wo immer sie Rettung erfahren haben, bauten sie einen Altar: 
Sie schichteten Steine übereinander, zündeten ein Feuer an, opferten Getier.

Und in allem war präsent, wofür zu danken war :
für Kinder und große Viehherden,
für Bewahrung,
für einen neuen Weg und ein neues Zuhause,
für Wasser in letzter Minute und Essen,
für die gelungene Versöhnung und für einen Neuanfang.

Auch unser Raum ist voller ‚Erinnerungssteine’:
Wir tragen zusammen, was gewachsen ist in Gärten und auf Feldern,
und mit ihnen legen wir auf den Tisch, was wir an Arbeit geleistet haben.

Und in Gedanken sind da auch die vielen persönlichen Dinge, die wir erlebt haben, für die wir auch ‚Danke’ sagen.

Und es geht uns wie Jakob:
Staunen ist uns ins Gesicht geschrieben:

Wieder ein Jahr – wirklich schon wieder ein Jahr?

Ein Jahr – geschenkte Zeit,
erfüllte Partnerschaft,
Kinder, die so viel fordern, aber doch so viel Freude in ein Haus bringen,
Essen und Trinken, vielleicht ein neues Zuhause,
neue Freunde, liebe Nachbarn.

Ein Jahr geschenkte Zeit –

aber auch Krankheit, vielleicht Genesung, langsame Fortschritte im Genesen, Arbeitslosigkeit, Hausverkauf, Abstieg (mehr die Lichtgestalten, die in die Tiefe gehen), Schmerzen und Verlust.

In vielem, was uns widerfahren ist, haben sich Himmel und Erde berührt,
hat Gott uns berührt, angerührt, ist nahe gewesen.

Nicht immer haben wir es erkannt.
Und manchmal war es wie im Traum.

Jakobs Traum  nimmt uns mit.

Vielleicht öffnet er uns den Blick für den geöffneten Himmel über uns. Und wir erkennen: das Licht reicht bis zu uns – herunter.

Und staunend nehmen wir wahr:
Gott meint es noch mal gut mit uns.

Er rückt nicht von uns ab. Sondern kommt an unsere Seite.

Auch wenn wir nicht die Treuesten waren,
auch wenn wir schuldig geworden sind im Umgehen miteinander,
auch wenn wir meinen, ohne Gott auskommen zu können.

Jakobs Traum nimmt uns mit –
nimmt uns mit ins Staunen
und mit ins Danken.

Und wir bringen diesen Dank vor Gott

und gehen weiter,
staunend und dankend und voller Hoffnung,
dass Gott uns nicht allein gehen lässt. Auch nicht morgen und übermorgen. Amen.


Die Kirche zu Alta/Norwegen

ZwischenZeit und Ewigkeit

Gottesdienst im Kloster Cismar am 8. August 2021

(D) Liebe Frauen und Männer, liebe Gemeinde,

Sie haben es vielleicht in der Ankündigung des Gottesdienstes gelesen:
Heute halten zwei Pensionäre den Gottesdienst – Menschen, die hinter ihrer Berufsbezeichnung ein ‚i.R.‘ haben – zwei, die schon ‚in Rente‘ sind oder ‚im Ruhestand‘, jedenfalls Leute, von denen man schmunzelnd sagt: ‚Die haben doch nie Zeit!‘

(W) Aber – Zeit, was ist das eigentlich?

Ein kleines Gedankenexperiment: Stellen wir uns einmal vor, es würde sich nichts bewegen. Kein Auto auf der Straße, keine Wolken am Himmel, keiner von uns hier. Die Uhrzeiger würden stehen, die Sonne am Himmel immer am gleichen Punkt.

Wir würden nicht merken, ob Zeit vergeht.
Ohne Veränderung gibt es keine Zeit.

In einem meiner Lieblingsfilme „Täglich grüßt das Murmeltier“ lebt die Hauptperson gefangen in einer Zeitschleife. Jeden Morgen wacht er um 6 Uhr durch seinen Wecker auf, immer mit dem gleichen Lied „I got you babe“ , immer am gleichen Tag, am 2.Februar. Was er auch macht, ob er den Tag normal verbringt oder das Murmeltier ermordet oder vom Kirchturm springt, immer um 6 Uhr morgens „I got. you babe“.
Eines Abends sitzt er mit zwei ziemlich angetrunkenen Kumpels am Tresen und klagt sein Leid: Jeden Tag dieselbe Leier, nichts Neues im Leben. Und was sagen die beiden: „Das ist bei uns schon immer so“.


Wenn sich in unserem Leben nichts wesentlich ändert, kann das Gefühl entstehen, die gelebte Zeit sei vertan – verschenkt. Dabei sehnen wir uns danach, dass unser Leben nicht nur einfach so verstreicht. Dass wir sagen können: Das habe ich  – heute – geschafft! Das war gut so. So macht mein Leben Sinn.

(D) Viele Menschen kennen einen solchen ‚Durst nach Leben‘, ‚Durst nach erfüllter Zeit‘.
Durst nach Leben.
Das meint: Ich möchte glücklich sein. Und gesund.
Möchte mit Menschen zusammen sein, die mir guttun.
Möchte Spaß haben.
Viele Menschen haben Durst nach Leben.

Die Bibel erzählt dazu folgende Geschichte:
Jesus sitzt am Brunnen. Er ist alleine, seine Freunde sind in den Ort gegangen, um etwas zu essen zu holen. Lange waren sie alle unterwegs gewesen.

Da kommt eine Frau mit einem Krug.
Sie schöpft Wasser.

Jesus sagt: „Gib mir bitte einen Schluck zu trinken! Ich habe Durst.“

„Nein“, sagt die Frau, „du bist ein Fremder, ich kenne dich gar nicht.“

Jesus sagt: „Ich gebe dir das Wasser des Lebens.“

Die Frau – überlegt:
„Wasser des Lebens?
Lebendiges Wasser, um den Durst nach Leben zu stillen.“

Sie schließt für einen Moment ihre Augen.
Vor sich hin gemurmelt:
War sie nicht gerade heute Morgen so traurig gewesen?
Hatte verzweifelt überlegt, mit wem sie reden könnte.
War vollkommen fertig gewesen, weil das Geld fehlte, um Brot für die kommenden Tage zu kaufen.

Lebendiges Wasser , um den Durst nach Leben zu stillen. Das wäre krass!
Lebendiges Wasser, das meinem Leben wieder Sinn gäbe, denkt sie.
Lebendiges Wasser, das meine Zeit zu etwas Sinnvollem macht.

„Das will ich haben“, sagt sie. „Lebendiges Wasser!“
„Ich laufe. Ich hole meine Nachbarn, damit wir alle davon trinken können.“

Und dann läuft sie los.

Der Moment am Brunnen – der hat etwas mit ihr gemacht.
Mit ihr und mit ihrer Zeit. Hat sie verändert und ihren Blick auf ihr Leben.

Diese Veränderung, dieses Neue im Leben macht aus verflossener Zeit geschenkte gute Lebenszeit. Ja, vielleicht kann man sagen:
Der Moment der Begegnung mit Jesus am Brunnen wird für die Frau zu einem Moment, in dem schon hier in diesem irdischen Leben etwas von der Ewigkeit aufleuchtet.

(W) Das musste nun doch wieder kommen –
Ewigkeit – dieses Wort, das im kirchlichen Raum dauernd, um nicht zu sagen ewig, benutzt wird und mich auf später, wenn ich tot bin, vertrösten will!

(D) Halt – hör auf zu schimpfen! Du hast mich nicht verstanden. Ich habe gemeint: Die Frau hat am Brunnen schon ein Stückchen von der Ewigkeit erlebt – hier im jetzigen Leben.
Sie hat einen Moment erlebt, in dem ihr Durst nach Leben, nach Glücklich-Sein, gestillt worden ist.

(W) Du meinst also, Ewigkeit passiert auch schon hier auf der Erde?

(D) Ja – ganz konkret:
Momente der Ewigkeit, die Durst nach Leben stillen:
Wo ein Mensch einem anderen zuhört –
Wo ein Mensch einen anderen nicht allein lässt –
Wo ein Mensch einem anderen hilft.

Und wo ein solcher ‚Ewigkeits-Moment‘ für immer in meinem Gedächtnis bleibt, wo er mir zum ‚Weiterleben‘ hilft.

(W) Also – bis jetzt habe ich immer gedacht: Ewigkeit – das ist einfach nur eine verdammt lange Zeit.
Ich erzähle Dir ein Beispiel:
Vor etwa zwei Jahren hatte ich eine Entzündung am Fuß, die operativ entfernt wurde. Ich fragte den Arzt, wie lange das braucht um wieder zu heilen. Er meinte nur lapidar: „Rechnen sie mal ziemlich lang, eine halbe Ewigkeit.“

Für jemand wie mich, der viele Semester Mathematik studiert hat,  wirft so eine Antwort Fragen über Fragen auf.
Habe ich doch gelernt: Streicht man von den unendlich vielen natürlichen Zahlen 1;2;3;4;5;6;usw jede Zweite weg, so bleiben noch unendlich viele ungerade Zahlen 1;3;5;usw übrig, obwohl man doch schon unendlich viele gerade Zahlen 2;4;6usw gestrichen hat.

Die Unendlichkeit wird durch halbieren nicht kleiner. Ewigkeit ist also etwas anderes als unendlich lange Zeit

(D) Dann unterscheidet sich Ewigkeit von unserer Zeit. Sie ist Gottes Zeit und kann jederzeit zu unserer Zeit werden. Wie bei der Frau am Brunnen. Ein Moment der ‚Gotteszeit‘ – eine ausgefüllte, verändernde und Neues schaffende Zeit. Was die Frau dort erlebt hat, bringt sie auf die Beine. Sie läuft los. Holt andere. Will diesen Moment mit anderen teilen.

(W) Also so: Ewigkeit ist schöpferische Zeit, vor und in und nach unserer Lebenszeit. Sie kennt keine Langeweile und keine Hektik. Sie ist die gute von Gott geschenkte Zeit für mich, ein Lebensmoment, in dem Himmel und Erde einander berühren.

Dialogpredigt in Ahrensbök am 31.5.2021 zu Nikodemus (Joh 3)

Von Doro und Wolfgang

Doro: Wir hören den heutigen Predigttext aus dem Johannesevangelium im 3.Kapitel:Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster der Juden.

Wolfgang: Wenn ich Pharisäer höre, läuft mir schon das Wasser im Mund zusammen. Dieser leckere Kaffee mit Sahne und einem ordentlichen Schuss Rum. Als ich das Getränk zum erstenmal im kalten Winter an der See kennenlernte, war ich auch von diesem Namen fasziniert. Woher er denn kommt, fragte ich die Bedienung. Und sie erklärte mir, die Pharisäer wären verlogene Heuchler gewesen. Ich kenne doch sicher die Geschichte von dem Pharisäer, der öffentlich Gott dankt, dass er nicht so geldgierig ist wie die Zöllner. Damals war es verpöhnt, wenn Frauen in der Öffentlichkeit Alkohol tranken. Deshalb bestellten sie sich dann einen Kaffee mit Sahne und der Wirt sah an dem Augenzwinkern schon, dass er den Rum darunter verstecken sollte. Und so ein Pharisäer kam jetzt zu Jesus? Was wollte er denn von ihm?

Doro: Also noch mal von vorn: Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster der Juden. Der kam zu Jesus bei Nacht

Wolfgang: Wieso bei Nacht, hatte er was zu verbergen?

Doro: Davon steht hier nichts, aber so ein angesehener Mensch wollte vielleicht nicht mit diesem herumziehenden Wanderprediger gesehen werden. Aber jetzt geht die Geschichte weiter: Nikodemus sagt zu ihm: Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott ist mit ihm.

Wolfgang: Ich dachte die Pharisäer waren verlogene Heuchler. Das hört sich jetzt aber ganz anders an. Er nennt Jesus einen Rabbi, einen Lehrer. Als wenn beide auf der gleichen Ebene miteinander diskutieren könnten. Was waren die Pharisäer denn nun wirklich?

Doro : Sie waren keine ausgebildeten Theologen und auch keine Priester, sondern einfache Leute, Handwerker, Händler, Bauern oder Hirten. Aber sie konnten im Gegensatz zu den meisten Menschen damals lesen und deshalb lasen sie in den Synagogen, also den Kirchen dieser Zeit die alten Schriften vor und versuchten ihre Bedeutung für die Gegenwart zu erklären.

Wolfgang : Dann war Jesus eigentlich ja auch Pharisäer, er hat doch bis zu seiner Taufe bei seinem Vater in der Werkstatt gearbeitet, konnte lesen und hat am Sabbat die alten Schriften in der Synagoge ausgelegt.

Doro : Ja im Prinzip war Jesus so etwas wie ein Pharisäer, aber nach der Taufe ist er ja als Wanderprediger durchs Land gezogen und er hat sich auch keiner der Gruppen der Pharisäer angeschlossen.

Wolfgang : Dann ist das schon etwas besonderes, wenn ein hoch angesehende Pharisäer wie Nikodemus anerkennt: Jesus ist von Gott gekommen. Das hat er sicher nicht zu vielen gesagt.

Doro : Aber lass mich doch die Geschichte weitererzählen: Nikodemus sagt zu ihm: Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott ist mit ihm. Jesus antwortete ihm

Wolfgang: Entschuldigung, dass ich dich noch mal unterbreche, aber wieso antwortet Jesus? Nikodemus hatte doch gar keine Frage gestellt. Er hatte doch nur gesagt, dass Gott mit Jesus ist. Wo ist da die Frage auf die Jesus antwortet?

Doro : Hör doch die Geschichte erst mal zu Ende: Jesus antwortete Nikodemus: Wirklich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Wolfgang : Langsam begreife ich. Die Frage steckte zwischen den Zeilen. In der Person Jesus selber. Denn Jesus hatte ja gepredigt, dass das Reich Gottes schon angebrochen sei. Jesus versucht also jetzt zu erklären, woher er denn weiß, dass das Reich Gottes schon angebrochen ist, während die meisten Juden noch auf diesen Anfang warteten. Während Nikodemus es aus den Zeichen und Wundern, die Jeus tat, erkannt hat, weist Jesus hingegen darauf hin, dass man neu geboren werden muss. So wie er in der Taufe durch Johannes auch, symbolhaft durch die von Gott kommende Taube, nicht nur mit Wasser getauft sondern auch mit Gottes Geist beschenkt wurde. Und wie das jetzt bei allen Menschen möglich ist, das will Nikodemus jetzt sicher wissen.

Doro : Genau, so geht die Geschichte weiter: Nikodemus fragt Jesus : Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in den Bauch seiner Mutter gehen und geboren werden?

Wolfgang : Nikodemus stellt sich also an eine Wiedergeburt vor, so ähnlich wie die Hindus in Indien. Jesus hatte aber doch von einer Neugeburt, einer ganz anderen als unserer ersten Geburt gesprochen.

Doro : Deshalb erklärt er es im folgenden Teil des Bibeltextes genauer. Jesus antwortete: Wirklich, ich sage dir: Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von Neuem geboren werden. Der Wind Gottes bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren ist.

Wolfgang : Deshalb haben viele Menschen, als sie sich zu Christus bekannt haben, einen neuen Namen bekommen. Das bekannteste Beispiel ist Saulus, der zu Paulus wurde. Als wenn hier ein ganz neuer Mensch entsteht. Aber ich frage mich: Ist das heute noch möglich? Und wie komme ich an diesen neuen Geist? Oder falls er schon da ist, woran erkenne ich ihn, wenn der Wind Gottes doch kommt und bläst, wohin er will?

Doro : Mit unseren Augen können wir das sicher nicht direkt sehen, aber an den Auswirkungen vielleicht erkennen. Gottes Geist bewirkt Frieden, Freude, Glück, Trost, Geborgenheit, Fürsorge. So eine Veränderung merkt man doch bei Menschen.

Wolfgang : Da fällt mir eine Geschichte aus Indien ein: In Indien lebte ein Mann, der schon als Junge erblindet war. Wie das damals dort und teilweise noch heute üblich ist, wurde für ihn eine Frau von der Familie ausgesucht. Da er ja vollständig blind war, suchte man keine Schönheit für ihn aus. Seine Frau galt schon als junges Mädchen als hässlich und wurde von allen Mitschülern und insbesondere von den Mädchen ausgelacht: „Du wirst nie einen Mann finden“. Sie war nicht nur pummelig, sondern hatte auch eine kaum fühlbare, aber deutlich sichtbare Narbe im Gesicht, was dadurch entstellt wirkte. Schon deshalb war sie nicht unglücklich, als von ihrer Familie ein Blinder als Mann für sie ausgesucht wurde. Aber die beiden verliebten sich ineinander. Sie war dem blinden Mann in vielen Ehejahren eine gute Frau. Sie war tatkräftig und fleißig und trug ganz viel zum Einkommen der Familie bei, zu der bald auch 2 Kinder zählten. Jahre später, als die Kinder bereits aus dem Haus waren, kam ein Arzt aus einem fernen Land in ihr Dorf. Er untersuchte den blinden Mann und bot an, durch eine Operation die Blindheit heilen zu können. Seine Frau erschrak, was würde er denken, wenn er sie jetzt zu sehen bekäme. Schon als Kind keine Schönheit, aber jetzt nach vielen arbeitsreichen Jahren alt und ausgemergelt und runzlig. Sie warnt ihren Mann vor der Operation, sie wäre viel zu gefährlich. Der Mann ist hin und her gerissen. Einerseits würde er gern wieder sehen, aber andererseits vertraut er den Worten seiner Frau. Er fragt einen alten indischen Guru um Rat. Der kennt die Frau und ahnt, dass die medizinischen Bedenken nur vorgeschoben sind. Er rät: Höre auf das, was dir dein Herz dir sagt.

Doro : Und das ist das Ende der Geschichte? Ich persönlich finde so etwas gemein. Ich will doch wissen, wie der Mann sich jetzt entschieden hat. Hat er sich operieren lassen? Und wenn, hat er seine Frau immer noch so lieb wie vorher, obwohl er jetzt weiß, dass ihm sein halbes Leben lang die Wahrheit vorenthalten wurde. Oder verlässt er sie deshalb, oder weil er sie so hässlich findet? Oder verlässt sie ihn vor Enttäuschung, weil er ihr nicht vertraut hatte? Oder vertraut er ihr, lässt sich nicht operieren und sie leben beide glücklich mit dieser Lüge bis an ihr Lebensende? Ich würde es zu gern wissen.

Wolfgang : Ich auch, aber leider war die Geschichte da zu Ende. Und der Rat des Guru hilft uns bei der Frage, wie die Geschichte endet, auch nicht ernsthaft weiter. Es ist sicher gut und richtig, auf sein Herz zu hören. Das was man sieht ist oft nur die Oberfläche. Aber auch manche Herzen sind versteinert und hart. Was der Mensch braucht ist ein von Gottes Geist durchströmtes Herz. Ein offenes freundliches gütiges Herz. Das ist das Herz von dem der schlaue Fuchs im Buch: Der kleine Prinz von Saint-Exupéry spricht. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Man sieht nur mit dem Herzen gut. Unsere Augen sehen oft nur das Schlechte, Gewalt, Krieg, Kathastrophen und Leid. Wen aber der Geist Gotttes durchströmt, der sieht, wo Frieden und Heilung, Rettung und Hoffnung ist.

Doro: Wenn man ein Herz hat, das offen für Gottes Geist ist, sieht man viel vom Anbruch des Reiches Gottes. Es sind oft unscheinbare Dinge, die große Veränderungen auslösen. Wie der Tag, als Frau Rosa Parks, eine farbige Arbeiterin aus Montgomery in Alabama sich erschöpft auf einen Busplatz setzte, der für Weiße reserviert war und damit die erfolgreichste Bürgerbewegung der USA auslöste. Oder Greta, die statt zur Schule zu gehen sich jeden Freitag vor das Stockholmer Parlament setzte um auf die Klimakrise hinzuweisen. Oder die Familie, die sich schon seit mehr als ein Jahrzehnt um ihre fast demente Großmutter kümmert. Oder der hochintelligente Schüler, der statt mit erhobener Nase durchs Schulgebäude zu laufen, nachmittags anderen, denen das Lernen schwer fällt, bei den Hausaufgaben hilft. Wer sein Herz für Gottes Geist öffnet, sieht manchmal schon den Himmel auf Erden.