„Jesu Verwandschaft“ Predigt Markus 3 ;31-35 22.9.2019 in Cismar (Wolfgang)

(Predigt in Arbeitsschürze und mit Säge und Hobel)

Also ich muss immer sagen, ich muss Ihnen etwas erzählen, ich hab mich fürchterlich aufgeregt gestern und ich kann mich immer noch nicht beruhigen. Ja was meine Frau da gestern erzählt hat. Mein ältester Sohn war ja immer etwas seltsam. Aber so was, das hab ich mir nicht vorstellen können. Ach sie wissen gar nicht, worum es geht.

Ich glaube ich fange mal vorne an. Also da war meine Frau, sie wollte ja ihren Sohn besuchen. Sie wollen endlich mal wissen, wie’s ihm geht. Da sie nicht alleine reisen kann, das ist zu gefährlich, ist mein zweitältester Sohn Jakob mitgegangen und seine Schwester. Sie wussten gar nicht wo sie ihn finden würden. Nur die vage Richtung, nach Osten zum großen See und dann von da aus haben sie sich weiter durch gefragt.

Ich merke schon ich muss noch weiter vorher anfangen sonst versteht Sie ja gar nicht warum sie den Aufenthalt ihres Sohnes nicht kannte.

Also eigentlich war mein Sohn ein ganz lieber, zu mindestens dachte ich das immer. Er raufte nicht so wie die anderen Kinder und er war mir in meiner Werkstatt schon mit zwölf Jahren eine große Hilfe und mit 15 war schon wie ein Geselle in der Werkstatt. Er konnte da schon alles übernehmen konnte konnte Tische Stühle herstellen, konnte mir beim Dachdecken helfen und später als mir dann der Balken auf den Fuß gefallen ist, da konnte ich mich auf ihn verlassen. Er hat die Werkstatt fast alleine mit seinem jüngeren Bruder geführt. Ich saß und konnte gar nicht helfen und höchstens ein paar Anweisungen geben. Er hat das prima hingekriegt.

Aber etwas seltsam war er schon. Er schien mehr mit dem Kopf zuarbeiten und nicht wie ein richtiger Tischler vom Holz her zu fühlen, wie man das Werkzeug anpacken muss. Er gründete auch keine Familie, obwohl er doch schon lange erwachsen war. Als er 30 Jahre alt war ist der von einem Tag zum andern losgezogen, hat uns nicht gesagt wohin er wollte, nur ganz grob dass er in Richtung Osten zum großen See gehen würde. Wir haben natürlich gefragt, wo er denn wohnen wollte. Er sagte, das wisse er nicht, vielleicht unter freiem Himmel oder bei Freunden. Und wovon er leben wollte und er sagte nur: Ich werde mal sehen. Zu mit sagte er: mein Bruder Jakob ist jetzt groß genug du kannst mit ihm die Werkstatt alleine führen, du brauchst mich ja nicht mehr. Aber was er genau wollte, weiß ich bis heute nicht.

Er ist dann noch einmal später in unsere Stadt gekommen.Das war ein etwas seltsamer Besuch.Wir dachten erst er würde uns besuchen wollen, aber seine Freunde fing sofort an mit den Menschen aus der Stadt zu diskutieren und zu reden und die Leute waren gar nicht begeistert von dem, was sie erzählten. Sie dachten, den kennen wir doch, was erzählt er uns hier. Er und seine Freunde sind dann wieder raus, fast aus unserer Stadt geflohen und wieder in Richtung des Sees, hat er uns gesagt aber ohne genaue Ortsangabe

Deshalb wollte meine Frau vor vier Tagen ihn wenigstens noch einmal in sehen und gucken wie’s ihm geht und ist mit meinem zweiten Sohn und seiner Schwester zusammen losgezogen in Richtung Osten sie wussten ja auch nicht wo er war. Sie hat ihm noch einen warmen Umhang und eine Decke mitgebracht, weil sie Angst hat dass es so kalt wird im Winter. So sind Mütter eben und dann hat sie zwei Tage sich durch gefragt bis sie ihn gefunden hat und er saß wirklich in der Nähe des großen Sees umringt von einer Schar von Freunden Männern und Frauen, die sie nie vorher gesehen hatte.

Sie hat ja die Freunde aus dem Kreis um ihn gebeten, er möge doch mal zu ihr kommen oder dass sie zu ihm durch die vielen Menschen gelassen würde. Als die Freunde ihm aber die Nachricht brachten, dass seine Mutter und seine Geschwister da waren, um ihn zu besuchen, hat er gesagt zu allen gesprochen:“ Sieht hier das hier sind meine waren Brüder und Schwestern, das ist meine Familie das sind mein Vater und meine Mutter. Denn wer Gottes Willen tut der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“ Meine Frau war wie vor den Kopf gestoßen. Da hatte sie sich zwei Tage lang auf den beschwerlichen Weg gemacht und jetzt muss sie hören, er hätte eine neue Familie, andere Menschen, die sie gar nicht kannte. Und die waren im plötzlich wichtiger geworden als die, mit den er 30 Jahre zusammen gelebt hatte, als seine Mutter die ihn 9 Monate im Bauch getragen und fast sein ganzes Leben lang versorgt hatte, als sein Vater, der mit ihm in der Werkstatt Jahre lang gearbeitet hatte als seine Geschwister mit denen er als Kind gespielt und als junger Erwachsener zusammen gelebt hatte. Am Anfang verstand meine Frau ihren Sohn gar nicht mehr.

Aber dann hat er sich doch noch mit seiner Mutter und seinen Geschwistern unterhalten und sie begrüßt und sich bei seiner Mutter bedankt für die Geschenke und sie mit zum Essen eingeladen. Wie selbstverständlich hat die ganze Gruppe dort den Fisch, das Brot und den Wein geteilt und es hat komischerweise für alle gereicht obwohl es zuerst nicht so aussah und ich weiß bis heute nicht, wovon sie das gekauft haben, also von welchem Geld .

Auf dem Heimweg hat meine Frau Maria noch lange über die Worte ihres Sohnes nachgedacht. Sie hatte überlegt eigentlich ist das ja für ihn seine neue Familie. Für ihn ist das vielleicht wirklich so, das sind seine Brüder und Schwestern. Obwohl für sie war es doch schwer das zu ertragen. Aber so sind Mütter eben. Sie hatte ihm eigentlich schon verziehen als sie hier wieder ankam. Aber als sie mir die Geschichte dann erzählt hat,da wurde ich richtig wütend: Was ist das für ein Sohn, der so mit seiner Mutter umgeht

Heißt es nicht im fünften Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren. Aber für ihn sind wohl andere zu Vater und Mutter geworden. Maria erzählte auch, dass er Gott mit Vater anredet. Eigentlich müsste ich mich ja geehrt fühlen, wenn er den Namen den er mir jahrelang gegeben hat jetzt für Gott verwendet. So ein schlechter Vater kann ich wohl gar nicht gewesen sein und mich wundert nur, dass er Gott nicht gleich mit Mutter angeredet hat. Maria hat ihn doch immer viel besser verstanden als ich. Einerseits finde ich es schön, dass er wieder so viele Freunde gefunden hat und andererseits, ob er uns nicht auch vermisst hat. Ich habe nicht so viele Freunde wie er, ich habe mich um meine Frau und meine Kinder gekümmert, ich hatte nicht so viel Zeit für Freundschaften. Vielleicht hat er ja was wichtigeres entdeckt, etwas was über die natürliche Familie hinausgeht. Aber das hätte er doch etwas netter seiner Mutter sagen können. Ich finde immer noch der Ton war nicht angebracht. Vielleicht verstehen Sie jetzt meinen Ärger und ich werde mich nur sehr langsam glaube ich beruhigen und nicht so schnell wie Maria das konnte.

Predigt zu der Geschichte von Varenka und der Jahreslosung 2020: „Ich glaube. Hilf meinem Unglauben!“ (Doro)


Friede sei mit euch!

Liebe Frauen und Männer, liebe Schwestern und Brüder!

Vor langer Zeit lebte in den alten Wäldern Russlands eine Witwe mit Namen Varenka. Ihr kleines Holzhaus lag tief im Wald – nur selten kam jemand hier vorbei.

Varenka hatte alles, was sie brauchte: einen Tisch und ein paar Stühle, Kästen für Brot und Käse und Geschirr. Nahe des Ofens hatte sie einen kleinen Altar gebaut. Auf der warmen Ofenbank fand sie nachts ein Plätzchen zum Schlafen. 

Varenka war glücklich. 
Eines Tages kam eine Gruppe von Leuten vorbei. In heller Aufregung riefen sie: „Varenka, schnell, pack ein paar Sachen. Im Westen tobt ein schrecklicher Krieg. Jeden Tag kommt er näher. Komm mit uns mit, bevor dir etwas zustößt!“

Varenka überlegte einen kurzen Moment. Dann sagte sie: „Nein, ich bleibe hier. Wer wird die müden Wanderer stärken, wenn ich mit euch mitgehe? Wer nimmt sich der Kinder an, die sich im Wald verirren? Wer wird sich um die Tiere des Waldes kümmern, wenn der Winter kommt? Nein – ich komme nicht mit. Ich bleibe! 
Doch ihr – ihr möget euch beeilen. Zieht weiter und Gott schütze euch!“

Am Abend dieses Tages, als es still wurde im Wald, da hörte Varenka das Donnern der Kanonen und sie kniete an ihrem Altar und betete zu Gott:
Bitte bau eine Mauer um mein Haus, damit mich niemand hier findet!

Es wurde Nacht und die Kanonen verstummten. Friede lag über dem Wald.
Nur – Gott kam nicht und niemand baute eine Mauer um Varenkas Haus.

Als Varenka am nächsten Tag aus dem Wald heimkehrt, steht vor ihrer Hütte Pjotr, der Ziegenhirt – im Arm ein Ziege, das einzige, was ihm geblieben ist. Varenka bittet ihn hinein und als der Abend kommt, da kniet sie nieder an ihrem Altar und betet:
Bitte bau eine Mauer um mein Haus, damit uns niemand hier findet!

Es wurde Nacht und die Kanonen verstummten. Friede lag über dem Wald.
Nur – Gott kam nicht und niemand baute eine Mauer um Varenkas Haus.

In der Frühe des nächsten Tages geht Varenka Pilze sammeln. Erschrocken fährt sie hoch, als sie in einem hohlen Baum einen jungen Mann schlafend entdeckt. Auch ihn, den Maler Stjepan nimmt sie mit nach Hause. Ihn, sein Bild und die kleine weiße Blume.

Und als der Abend kommt, da kniet sie nieder an ihrem Altar und betet:
Bitte bau eine Mauer um mein Haus, damit uns niemand hier findet!

Es wurde Nacht und die Kanonen verstummten. Friede lag über dem Wald.
Nur – Gott kam nicht und niemand baute eine Mauer um Varenkas Haus.

Am dritten Tag ist das Donnern der Kanonen sehr laut. Kaum vernehmbar hört Varenka die weinende Stimme eines Kindes vor ihrer Tür. „Ich habe Vater und Mutter auf der Flucht verloren und hab mich verirrt. Ich roch den Duft des Brotes.“ So kam auch Bodula ins Haus.

Und als der Abend kommt, da kniet sie nieder an ihrem Altar und betet:
Bitte bau eine Mauer um mein Haus, damit uns niemand hier findet!

Es wurde Nacht und die Kanonen verstummten. Friede lag über dem Wald.
Nur – Gott kam nicht und niemand baute eine Mauer um Varenkas Haus.

Auch in dieser Nacht war alles sehr still. Doch um die stillste Stunde herum vernahm Varenka einen leisen Ton. Vorsichtig öffnete sie einen Fensterladen und sah, dass Schnee fiel.

Sie trat vor ihren Altar, fiel auf die Knie und dankte Gott.

Und als der Morgen kam, da war das kleine Haus bedeckt von Schnee.

Als am Mittag die Soldaten kamen, da sah keiner von ihnen das kleine Haus unter der Schneehülle. Und sie gingen vorüber.
Pjotr, Stjepan, Bodula und Varenka aber dankten Gott.

Man erzählt, in diesem Teil Russlands habe es nie wieder Krieg gegeben.

Eine Geschichte wie ein Märchen – weit weg von uns hier in Kellenhusen –
weit weg, so will es scheinen, von dem, was unseren Alltag prägt.






Was hat diese märchenhafte alte Geschichte hier verloren?

Ich will benennen, was mich bewegt hat, diese Geschichte auszusuchen.

Wir teilen die Ängste, die diese 4 Menschen in dem kleinen Haus bewegen.

Angst vor diesem oder jenem, vor kleinen Tragödien und großen erschütternden Ereignissen.

Wir teilen die Ängste.

Was passiert, wenn ich schwer erkranke?
Wie verkrafte ich, wenn ein geliebter Mensch in meiner nächsten Umgebung stirbt?
Wie entwickelt sich die angespannte Lage im Nahen Osten und an anderen Kriegsschauplätzen dieser unserer Welt?

Wie kann ich der ständig zunehmenden Gewalt begegnen?

Die Ängste in dem kleinen Haus im Wald können wir sehr gut verstehen.
Das ist das eine.


Und das andere, was mich bewogen hat, diese Geschichte auszuwählen, ist:

Die Geschichte malt ein sehr anschauliches Bild von dem, was Menschen bewegen können, die an Gott glauben.➢ Varenka hat ein offenes Auge und ein weites Herz. Beides hilft ihr, die Not der drei anderen zu erkennen und Abhilfe zu schaffen. Auf engstem Raum beieinander, tun sie etwas, was ihre Ängste erträglicher macht: sie essen und trinken miteinander, sie singen, sie erzählen einander von sich selbst. 
Das ist das eine.
➢ Und der andere Gedanke:
Varenka glaubt an Gott und sie rechnet mit seiner Hilfe – ganz konkret. Das meint der vielleicht etwas angestaubte Begriff ‚Hoffnung’.
Hoffnung: Gott wird eine Mauer bauen, damit wir vier hier in diesem kleinen Haus nicht umkommen.
Hoffnung: Gott findet Wege, die vielleicht zunächst außerhalb meiner Denkens und meiner Erfahrung liegen, um zu helfen.
Hoffnung: Gott hat mit mir zu tun. Ganz konkret. Nicht erst später mal, wenn ich alt bin. Wenn ich krank bin. Wenn ich in Gefahr bin.

Eine Geschichte wie ein Märchen – weit weg von uns hier in Kellenhusen –
weit weg, so will es scheinen, von dem, was unseren Alltag prägt.

Aber vielleicht doch nicht so weit weg  …
denn genau das möchte ich doch erfahren können: 
Dass ich erleben kann, dass mein Glaube an den lebendigen Gott etwas bewegt – in meinem kleinen Alltag, und damit auch in den großen Zusammenhängen des menschlichen Lebens.

Gemeinsam essen und trinken,
einander von dem erzählen, was einem wichtig ist – gegen die Angst, die in uns steckt – wie die vier Menschen in Varenkas Haus.

Und die Hoffnung lebendig erhalten –
die Hoffnung, dass Gott manchmal Wege findet, mir zu helfen, die außerhalb meines Denkens stehen und den Erfahrungen, die ich bis jetzt gemacht habe, trotzt.

„Ich glaube. Hilf du, Gott, meinem Unglauben!“
Die Jahreslosung aus dem Markus-Evangelium nimmt das auf.

Ich glaube.
Ich glaube an den lebendigen Gott.
Und ich will mich nicht davon abbringen lassen.
Ich will mich nicht davon abbringen lassen, dass dieser Gott an meiner und an deiner Seite steht.

„Hilf meinem Unglauben, Gott!“
Erinnere mich daran, dass ich getauft bin.
Dass du mir zugesagt hast: Du, Menschenkind, bist mir wichtig und wertvoll. Ich brauche dich, damit Frieden wird. 
Frieden – wie damals im Wald und weit darüber hinaus.

Ich glaube an den lebendigen Gott.
D.h.: Ich bin Gottes Hoffnungsträger in dieser unserer so maroden Welt.

Ich darf Gott an meiner Seite wissen, und ich darf Gott um Kraft bitten, dem Amt des Hoffnungsträgers gerecht werden zu können.

Und Gott wird sich bitten lassen. Um den Schutz einer Mauer genauso wie das Einreißen einer Mauer, um die Bereitschaft zum Gespräch, das abgebrochen ist genauso wie um Begleitung, wo ein Mensch vereinsamt.

So wünsche ich uns allen ein von Gott gesegnetes Neues Jahr 2020!