Von Flaschengeistern und was sie mit uns machen – Gottesdienst in Ahrensbök am 18.10.2020

Denn der Geist, den Gott uns geschenkt hat, lässt uns nicht verzagen.
Vielmehr weckt er in uns Kraft, Liebe und Besonnenheit.

Heile du mich, Herr, so werde ich heil. Hilf du mir, so ist mir geholfen.
Jer. 17,14 (Wochenspruch)

Liebe Frauen und Männer, liebe Schwestern und Brüder,

da steht sie – wie ein Häufchen Elend in der Ecke der Synagoge.
„Seht mal – die da!“ haben sie gerufen.

„Die hat ja einen Geist, der sie krumm macht! Hahaha!“

Da muss man schon sehr schwerhörig und dickfällig sein, wenn so etwas spurlos an einem vorübergeht!

Erinnerungen steigen hoch:
Eine Jugendliche hungert sich krank, wird magersüchtig, um Anerkennung eines vermeintlich geliebten Menschen zu bekommen.

Ein älterer Arbeitnehmer bekommt nach längerer krankheitsbedingter Abwesenheit die Kündigung.

Eine Mitarbeiterin verbreitet über den Kollegen Gerüchte, die diesen beim Chef in falsches Licht setzen.

Erfahrungen, die einen Menschen klein machen und krumm.

Sie kennen dieses Gefühl auch?

Eine kleine Übung:
Wir stehen ganz gerade.

Dann stellen wir uns vor, wir würden eine schwere Last tragen.

Sie drückt uns herunter, wir werden dabei gebeugt und schauen nur noch auf den Boden

stehen ganz gekrümmt da –

wir können einander nicht mehr ins Gesicht sehen.

Auch so richtig tief durchatmen können wir nicht mehr.

Die Last wird immer schwerer, es schmerzt uns der Rücken.

Wir versuchen, einen Schritt zu machen, es geht nur ganz schwer.


Manch eine unter uns mag sagen:

Ich habe keine Perspektive. Ich sehe nur den Fußboden. Keinen Blick nach vorne. Keine Hoffnung auf wirkliche Veränderung/Verbesserung. Die Welt bleibt schlecht. Ich habe keine Hoffnung mehr.

Das Geschiebe über die Aufnahme von Menschen auf der Flucht – brodelnde kriegerische Begegnungen in Berkarabach – Mordanschlag auf einen Regimekritiker vermutlich von höchster Stelle gesteuert –menschenverachtende Präsidenten, ob sie Trump oder Lukaschenko heißen, die machtbesessen über Leichen gehen – schleppend und halbherzig vorankommender Klimaschutz – an der einen oder anderen Stelle gleichgültiger und fahrlässiger Umgang mit Corona – da kann man nur noch verzagt den Kopf hängen lassen.

Ich sehe nur noch den Fußboden vor mir – ja, das ist wie bei der kleinen Übung.

Die Frau in der Synagoge, die vom Anfang meiner Predigt, die war ganz krumm geworden über den vielen belastenden Erfahrungen. Keiner wusste so recht, was mit ihr los war. Vielleicht nicht mal mehr sie selber. Krumm und klein war sie geworden.

„Seht mal – die da!“ Immer wieder haben sie das gerufen.

„Die hat ja einen Geist, der sie krumm macht! Hahaha!“

Viele hatten so über sie gelacht.

Und hatten sie nicht Recht, die Leute?
Sie war doch klein und krumm geworden im Laufe der vielen Jahre. Aber sie hat immer weiter gemacht.

Die Geister, die ich rief, ich wird sie nicht mehr los – ja, so ähnlich.
Der Geist der Verzagtheit hat sich festgesetzt bei ihr. Einmal gerufen, und nochmal gerufen und nochmal ….

„Ich bin stets zu deinen Diensten“, sagt der Geist. Wie bei Aladin und seiner Wunderlampe. Einmal an der Lampe gerieben, steht er auf der Matte, bringt berauschende Mahlzeiten und ein wundervolles Schloss über Nacht, mit dem Aladin so richtig Eindruck schinden kann beim König, der ja die hübsche Prinzessin freigeben soll …

Die Geister, die ich rief, ich wird sie nicht mehr los.
Auch nicht den Geist, der klein und krumm macht.
Den Geist, der verzagen lässt.

Der Frau mit dem krummen Rücken widerfährt etwas Wunderbares.
Auch das erzählt das Lukas-Evangelium:

Jesus lehrt in der Synagoge (das ist so etwas wie eine Kirche).

Die krumme Frau steht in einer Ecke und hört zu.

Plötzlich hört sie, wie Jesus sagt: „Komm zu mir!“

Zuerst merkt sie gar nicht, dass sie gemeint ist.

Doch sie sieht die ganzen Füße, die sich zu ihr umdrehen.

Sie hört nochmal: „Ja, komm zu mir! Frau – dich meine ich!“

Sie humpelt nach vorne zu Jesus.

Einige andere fangen zu tuscheln an.

„Schaut doch mal – wie die geht!!“

Endlich steht sie vorne vor Jesus.

Er sieht sie freundlich an und sagt:
„Sei frei von deiner Krankheit!“

Und er berührt sie. Ganz behutsam. Er richtet sie auf!

Und sie kann den Rücken bewegen!

Sie flüstert: „Gott sei gedankt!“ Und ganz laut: „Halleluja!“

Da weht ein anderer Geist.
Nicht der Geist der Verzagtheit, der die Frau immer weiter zusammenfallen lässt, sondern der Geist der Liebe.

Die krumme Frau richtet sich auf – nein – richtig muss man sagen: Jesus richtet sie auf. Unter seinen Händen, mit seinen Worten kehrt ein anderer Geist bei der Frau ein. Der Geist der Verzagtheit verschwindet, der Geist des Kummers auch und der Geist der Verzweiflung. Ein neuer Geist nimmt Besitz von ihr.

Und das Wunderbare: Alle in der Synagoge haben das gesehen.

Das war damals.

Aber wie kann das heute ‚funktionieren‘?

Ich erzähle Euch eine kleine Geschichte:

Ein Mann hatte zwei Wasserkrüge. Beide Krüge befestigte er an den beiden Enden einer Stange, die er sich über die Schulter legte, wenn er Morgen für Morgen zum Fluss ging, um Wasser zu holen.

Der eine Krug war heil, während der andere einen tiefen Riss hatte, was dazu führte, dass der Krug nahezu leer war, wenn er von der Wasserstelle wieder zu Hause angekommen war.

Der gesprungene Krug war darüber sehr traurig. „Ich schäme mich so schrecklich“, weinte er. „Ich mache einen schlechten Job. Ich fühl mich so misslungen!“

„Aber ich wusste nicht, dass du dich so schlecht fühlst!“, sagte der Mann.
„Tu mir morgen einen Gefallen: Wenn wir von der Wasserstelle zurückkommen, schau mal auf unseren langen Weg zurück!“

Das geschah so.
„Und“ – fragte der Mann: „Hast du die schönen Blumen am Wegrand bemerkt?“

„Ja!“, seufzte der Krug.

„Hast du auch bemerkt, dass sie nur auf der einen Straßenseite wachsen? Ich habe immer bemerkt, dass du einen Sprung hast. Darum habe ich die Blumen am Wegesrand gepflanzt, die du jeden Tag begossen hast. Wenn du nicht so wärst, wie du bist, hätte ich nicht jeden Tag einen Strauß frischer Blumen auf den Tisch stellen können!“

Ich habe eben gefragt, wie ich denn den Geist der Verzagtheit heute loswerden kann.
Vielleicht so.

Vielleicht dadurch, dass ich eine neue Perspektive einnehme.
Wie der kaputte Wasserkrug. Der im Blick zurück etwas Positives zu erkennen vermag und mit und in seinem Mangel etwas Fruchtbringendes schafft.

Das eigentliche Wunder, das in der Synagoge damals geschieht, ist der Tausch der Geister: Der krankmachende Geist der Verzagtheit muss gehen – er darf keine Macht mehr über die Frau ausüben. Unter Jesu Händen findet ein neuer Geist den Weg in die Frau: Der Geist der Liebe – und wie es im Timotheus-Brief heißt: der Geist der Liebe, der Kraft und der Besonnenheit.

Dieser Geist – Gottes Geist – ist auch heute wirksam unter uns. Er ist es, der den Perspektivwechsel schafft.

Aller Verzweiflung, aller bitteren Flaschengeister in uns zum Trotz:

Der Geist, den Gott uns geschenkt hat, lässt uns nicht verzagen.
Vielmehr weckt er in uns Kraft, Liebe und Besonnenheit.


Das schafft den Perspektivwechsel, das schafft Veränderung.
Das Elend unserer Gegenwart bleibt, aber wir beginnen vielleicht nach Möglichkeiten zu suchen, wie wir uns engagieren können. Wie wir diese innere Kraft teilen können. Damit auch andere sich aufrichten und wieder atmen können.

Dieses Geistes Kind möchte ich sein. Und ich will lernen, an dieser von Gott geschenkten inneren Wunderlampe zu reiben, und den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit mir zur Hilfe kommen zu lassen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unser Verstand begreift, bewahre unser Herz und unseren Sinn in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

Lied_ Du verwandelst meine Trauer in Freude, du verwandelst meine Ängste in Mut. Du verwandelst meine Sorgen in Zuversicht. Guter Gott, du verwandelst mich.