Gedanken zu Bonhoeffers Neujahrsgedicht – Schönklinik am 31.12.2022

Von guten Mächten, wunderbar geborgen, gehütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr. Viele werden dieses Gedicht von Dietrich Bonhoeffer kennen, er schrieb es 1944 im Gefängnis. Es wurde zu einem Kirchenlied, mehrfach vertont, fast immer zu Neujahr gesungen.

Aber dazu war es nie gedacht. Es war ein ganz persönlicher Brief an Freunde und an die Familie. Er hat es nicht an seine Gemeinde geschickt, sondern an spezielle Menschen, die ihm etwas bedeutet haben.

Und er, der sich sein ganzes Leben lang mit Christologie und Jesus Christus beschäftigt hat, redet zuerst nicht von Jesus, nicht von Christus, nicht von Gott, sondern von guten Mächten. Wer sind diese guten Mächte? 

Wer seine Bücher über die letzten und vorletzten Dinge gelesen hat der ahnt, dass er mehr damit meint als jenseitige letzte Mächte. Er weiß sich auch getragen von den vorletzten Dingen.

Insbesondere von seiner Familie. Er weiß sich getragen von seinen Freunden. Das Gefängnis in dem er seit einem halben Jahr einsitzt ist nur äußerlich. Natürlich vermisst er die vielen Menschen, mit denen er sich sonst getroffen hat. Er vermisst sicher auch seine Bibliothek, so dass er seine Ethik nicht weiter schreiben kann. Er darf nur wenig Besuch empfangen und kann nur das zu Papier bringen, was in seinem Kopf ist und in den wenigen Büchern, die man ihm mitgebracht hat.

Aber er weiß, was er seiner Familie zu verdanken hat, dem liberalen kritischen Vater, der praktisch denkenden Mutter, der frommen Großmutter. Alle haben ihn geprägt. Mit allen Gedanken hat er sich auseinandersetzen müssen und von allen hat er gelernt. Die guten Menschen, die ihn gefördert und geprägt haben.

Wie die Mächte heißen spielt eigentlich keine Rolle. Das ist sicher auch der Gott Jahwe, von dem es heißt, dass er uns vom Mutterleib an zubereitet hat. Aber auch Buddha, der tröstet, im Leid hilft und sterbende ins Nirwana geleitet.  Auch Shiva der Erneuerer, der die Welt immer wieder verändert. Entscheidend ist der tröstliche Gedanke: Ich bin behütet und geborgen. Es ist kein Schicksal, kein Kismet, was über uns steht und uns beherrscht.

Es ist der gute Geist, der uns die Freiheit führt, den uns selber entscheiden lässt, wie wir unser Leben gestalten wollen.  Wir sind nicht, wie Sartre sagt, zur Freiheit verdammt, sondern zur Freiheit berufen. Für ihn bleibt, um mit Freunden und Familie zu leben, nur dieser Brief. Zeit ihn zu entwerfen hatte er wahrscheinlich im Überfluss. In den Strophen führt er aus, wie er sich getragen weiß im Leid und in der Freude, in der Freiheit und im Gefängnis, alleine und mit den Freunden.

Als ich dieses Gedicht zum ersten Mal gelesen hab, wusste ich nicht, dass es schon eine Vertonung gab. Heute findet man in manchen Gesangbücher sogar zwei Vertonungen eine etwas kitschige und eine sehr altertümlich anmutende. Ich hab damals selber eine Melodie gesucht, die zu dem Gedicht passt.  Die Melodie stammt von einem alten Beerdigungslied der Schwarzen aus Amerika und wenn man bedenkt, dass das für ihn das letzte Gedicht war, was er wahrscheinlich geschrieben hat, ist vielleicht die Melodie sogar passend.

Erst in der letzten Strophe benutzt er das Wort Gott, der am Morgen und am Abend bei uns ist und sicher auch am Morgen und am Abend unseres irdischen Lebens. Er sieht gute Mächte überall am Werk, mitten im Terror seiner Zeit. Und genauso kann man heute gute Mächte am Werk sehen. Wir sehen nicht nur das Grauen im Iran, in Syrien und in der Ukraine. Wir sehen auch Mut und Hilfsbereitschaft. Wir erwarten getrost was kommen mag, denn wir sind von guten Mächten getragen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert