Beherzt?

Sehr spät ist es, als Maria sich noch einmal die Jacke anzieht – sie hält es alleine nicht mehr aus – muss mit jemandem reden.

Als sie aus der Türe tritt, schlägt ihr die Nachtkälte entgegen. Hier draußen ist es so still und finster, wie wir uns das gar nicht vorstellen können. Kein vorbeifahrendes Auto und keine Straßenlaterne vor der Haustüre, an die sie jetzt klopft. Drinnen auf dem Küchentisch funzelt eine kleine Öllampe.

 F: „Gut, dass du kommst!“, sagt die Freundin. So sitzen sie und reden und weinen.

So mitten in der Nacht redet man nicht vom Wetter oder vom alltäglichen Kleinkram. So mitten in der Nacht gehen die Gedanken auf den Grund. So mitten in der Nacht lassen sich Liebe und Leid, Lust und Schmerz nicht mehr vertagen. So mitten in der Nacht redet man deshalb vom Sein oder Nichtsein, vom Leben und Tod, von Liebe und Leid.

Und immer wieder von dem einen – ihrem Freund Jesus.
Und wie das alles soweit kommen konnte.


Ist es in den Nächten, in denen wir kaum zur Ruhe kommen, nicht manchmal ähnlich?
So ein bisschen ist es, als hielte das Leben den Atem an.

Manch eine mag es geben, die gerade inmitten eines großen Familientreffens ihre Einsamkeit umso deutlicher wahrnimmt, nur noch den eigenen, schweren Atem hört;
und die Kerze, die sie vielleicht angezündet hat, malt ihren einsamen Schatten an die Wand. Wie ein bedrohliches schwarzes Gespenst.

Durcheinander sind die Bilder, die vor dem inneren Auge ablaufen,
wirr die Gedanken, die durch den Kopf schießen.
Und immer schwingt die Angst mit …

Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten.
Abscheulich und menschenverachtend, wie in unserem eigenen Land braunes Gedankengut wieder salonfähig wird.
Ein Präsident, der mit einem Handstreich die ganze Welt durcheinander bringt.

Und da sind noch die eigenen Belastungen  … vielleicht eine schlimme Diagnose,
Streit in der Familie.

Gewaltig sind diese Bilder. Lasten schwer auf den Schultern.

Manchmal überfällt mich die nackte Angst.
Wo steuern wir hin – mit unserem Land, mit unsrer Welt, die so etwas wie Menschenwürde und Mitmenschlichkeit immer weniger kennt?!

Wohin mit der Angst?
Wo kann ich mich festhalten, um nicht zu zerbrechen und zu versinken?

Die beiden Frauen damals gehen dahin, wo der Schmerz am größten ist.
Wo sie sich dem, der ihnen Halt gab, nahe fühlen.

F:
Lass uns zum Grab gehen, Maria! Vielleicht kommen wir da ein wenig zur Ruhe.
Und lass uns Jesus den letzten Liebesdienst erweisen – hab gestern Öl gekauft, mit
dem wir den Leichnam salben können.“

Es wird schon hell, als die beiden Frauen den Friedhof erreichen.

M: „Hier muss es sein! Hier ist …“-
Maria bleibt ruckartig stehen.
M: „Nein, hier nicht – ich sehe den großen Felsblock nicht. Wir vertun uns. Lass uns
weiter suchen.“

Es ist schwer, mit all den Steinen, die auf uns lasten, geradeaus zu schauen, einen Weg zu finden.

Plötzlich durchzuckt es die Frauen, als sei ein Blitz durch sie hindurchgefahren.

Die Bibel erzählt, der Stein sei vom Grab weggerollt gewesen.

F:  „Maria, der Stein ist weg.“
M:  „Kann nicht sein!“
F:  „Ist aber so!“
M: „Mich gruselt’s!“
F:  „Ich hab Angst!“

Mitten in ihren Finsternissen plötzlich gleißendes Licht.
Und eine Stimme:
‚Fürchtet euch nicht! Ihr sucht Jesus bei den Toten.
Da ist er nicht. Er ist auferstanden!‘

M:  „Wo bist du, liebe Freundin? Bleib in meiner Nähe. Ich glaube, ich werde
verrückt.“

F: „Ich habe Angst! Was passiert hier?“

M: „Er hat gesagt: Fürchtet euch nicht! —

Aber wie sollten wir uns nicht fürchten?

F:  „Er hat noch mehr gesagt.“

M: „Ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier. Er ist auferstanden.
      Siehe – da ist die Stätte, wo sie ihn hinlegten.
      … Und noch was … warte  …
Geht zu den anderen Freunden – und …
er wird vor euch hergehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen.“

F:  „Halt ein, liebe Freundin, meine Seele kommt so schnell nicht mit.
Warte auf mich.“

M:  „Er hat gesagt: Wir sollen hingucken.
      Hingucken, wo unser Schmerz ist. Ins Grab.“

F:  „Da ist Jesus nicht mehr.“

M: „Und nach Galiläa gehen. Er hat gesagt, dass wir ihn dort sehen werden.“


Was für ein Wahnsinn:
Mitten im Chaos, mitten in unseren Finsternissen schenkt Gott uns einen klaren Blick.

Gedanken sortieren, wahrnehmen, was ist.
Augen, um einander zu sehen. Ohren zu hören und Worte, um einander zu verstehen.

Das ist die Osterbotschaft:
Siehe! Schau hin! Der, der den Tod überwunden hat, die Finsternisse durchschritten hat, der stellt deine Füße da hin, wo sein Weg mit dir beginnt.

Seine Freunde schickt er nach Galiläa – dorthin, wo alles begonnen hat.
Hier beginnt ihr neuer Weg.
Ein Leben in Zuwendung zum anderen Menschen –
ein Weg der Liebe und nicht der Menschenverachtung –
ein Weg der Hilfe für den, der solche bedarf.

Allem Durcheinander unserer Tage können wir Christenmenschen etwas entgegensetzen:

Fürchte dich nicht!  Sieh doch – das Grab ist leer. Von seinem Wort getragen, lebst du und bist gesandt in den neuen Tag, in dein Morgen. Dafür lebst du.

Im Gespräch mit denen, die alles kaputt reden und machen, die nur noch Finsternis kennen und verbreiten.

Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist auferstanden – siehe: hier ist die Stätte, wo sie ihn hinlegten.

Beherzt und klar: Das Leben siegt. Amen